Freitag, 14. November 2014

Mehrheit und das Gewissen des einzelnen (Thoreau)

After all, the practical reason why, when the power is once in the hands of the people, a majority are permitted, and for a long period continue, to rule is not because they are most likely to be in the right, nor because this seems fairest to the minority, but because they are physically the strongest. But a government in which the majority rule in all cases can not be based on justice, even as far as men understand it. Can there not be a government in which the majorities do not virtually decide right and wrong, but conscience?—in which majorities decide only those questions to which the rule of expediency is applicable? Must the citizen ever for a moment, or in the least degree, resign his conscience to the legislator? Why has every man a conscience then? I think that we should be men first, and subjects afterward. It is not desirable to cultivate a respect for the law, so much as for the right. The only obligation which I have a right to assume is to do at any time what I think right. 

Henry David Thoreau, Civil Disobedience

Freitag, 31. Oktober 2014

Sloterdijk und die Steuern

Um die Prozeduren der zeitgenössischen Fiskalität zu würdigen, ist daran zu erinnern, daß sie noch immer in direkter Kontinuität aus den absolutistischen Traditionen hervorgehen. Ein solches System bleibt darum auch für eine demokratische Gesellschaftsordnung inakzeptabel, da auch heute noch die materiellen beziehungen zwischen Staat und Bürger fast ausschließlich von oben her gestaltet werden. Sollte es je zu einer demokratischen Metamorphose kommen, müßte der Fiskus seine Zugriffe auf Bürgervermägen den veränderten Verhältnissen in Theorie und Praxis anpassen. Erkennen würde man dies daran, daß die faktisch gebende Seite auch rechtens als gebende verstanden würde, und nicht bloß als schuldende. Folglich müßte die gebende Partei in allen Phasen des fiskalischen Prozesses, von der Vereinnahmeung bis zur Verausgabung, auf angemessene Weise involviert werden – weit über die heutigen Üblichkeiten der >>Haushaltspolitik<< hinaus.

Peter Sloterdijk, Die nehmende Hand und die gebende Seite (Suhrkamp, 2010), 20.

Donnerstag, 30. Oktober 2014

besser tun als unterlassen

In the long run, people of every age and in every walk of life seem to regret not having done things much more than they regret things that they did, which is why the most popular regrets include not going to college, not grasping profitable business opportunities, and not spending enough time with family and friends.

Daniel Gilbert, Stumbling on Happiness (Alfred A. Jnopf, 2006), 183

Dienstag, 14. Oktober 2014

Kelsens "Fiktion der Repräsentation"

Wenn man sagt, daß ein Organ in Ausübung seiner Funktion das Volk, das heißt die die Staatsgemeinschaft bildenden Individuen, repräsentiert, wenn man so seine Funktion diesen Individuen zuschreibt, so meint man, daß das Individuum, dessen Funktion man auch der Person des Staates zuschreiben und das daher als Organ des Staate s gelten kann, rechtlich oder auch nur moralisch gebunden ist, seine Funktion im Interesse des Volkes, das heißt der die Staatsgemeinschaft bildenden Individuen auszuüben. Da man im juristischen Sprachgebrauch Interesse mit Wille mehr oder weniger identifiziert, indem man annimmt, daß, was ein Mensch „will", sein Interesse ist, glaubt man das Wesen der Repräsentation darin zu sehen, daß der Wille des Repräsentanten der Wille des Repräsentierten ist, daB der Repräsentant mit seiner Aktion nicht den eigenen, sondern den Willen des Repräsentierten realisiert. Das ist eine Fiktion, selbst dann, wenn der Wille des Repräsentanten durch den Willen des Repräsentierten mehr oder weniger gebunden ist, wie im Falle der rechtsgeschäftlichen Vertretung oder der Repräsentation unter einer ständischen Verfassung, nach deren Bestimmung die Vertreter der Stände an die Instruktion ihrer Wähler gebunden sind und von diesen jederzeit abberufen werden können. Denn auch in diesen Fällen ist der Wille des Vertreters oder Repräsentanten ein vom Willen des Vertretenen oder Repräsentierten verschiedener Wille. Noch offenkundiger ist die Fiktion der Willensidentität, wenn der Wille des Vertreters oder Repräsentanten in keiner Weise durch den Willen des Vertretenen oder Repräsentierten gebunden ist, wie im Falle der gesetzlichen Stellvertretung des Handlungsunfähigen oder der Repräsentation des Volkes durch ein modernes Parlament, dessen Mitglieder in Ausübung ihrer Funktion rechtlich unabhängig sind; was man damit zu kennzeichnen pflegt, daß sie ein „freies Mandat" haben.“ 

Hans Kelsen, Reine Rechtslehre (zweite, vollständig neu bearbeitete und erweiterte Auflage von 1960), S. 302

Donnerstag, 29. Mai 2014

On international and municipal law

It is a fundamental error to assume that international law is primitive
because it lacks force and that an enforcing agency would cure the ills inci-
dent to international relations. It cannot be too often stressed that concep-
tions of municipal law can never be applied to internationalaw because the
subject matter, individuals on the one hand and sovereign nations on the
other, differ fundamentally. Hence the societal form of association and the
applicability and utility of coercion, must also differ. Individuals can be
coerced by a centralized superior and, in spite of occasional revolutions, can
not legally or usually physically resist societal agents. Sovereign nations
can not have, or be coerced by, any centralized superior because they are
legally equal, and no nation, as Story said, is the custos morum or the police-
man of the others. Any law that prevails among equals cannot be decreed
or enforced by a superior and must be of a type quite different from that which
prevails within the State. The two are law on different levels, which fact
induced Austin to call internationalaw international morality. That was
a recognition of their essential difference. If there were a superior, it would
not be internationalaw; and so long as states are legally equal, as the recent
resolutions admit, there can be no superior authority. Force behind an in-
ternational organization, independent of that of particular states, is unthink-
able so long as the members are sovereign states, and would soon prove fatal
to the organization. It must derive its prestige from different methods- consultative, deliberative, recommendatory, peaceful. The men who founded this nation seemed to have a clear grasp of that elementary human fact in discussing the suggested enforcement of the federal Constitution on the states. International law through the ages made its appeal not by force but by persuasion and application in practice.

Flaws in Post-War Peace Plans
Author(s): Edwin Borchard
Source: The American Journal of International Law, Vol. 38, No. 2 (Apr., 1944), pp. 284, 285f

Sonntag, 20. April 2014

Henryk Broder zu den Parallelen der EU zu einer Glaubensgemeinschaft

"Die Europa-Idee weist alle Eigenarten einer Glaubensgemeinschaft auf. Es gibt eine Priesterkaste, die Brüsseler Nomenklatura, es gibt das Heer der Gläubigen, von denen freilich immer mehr desertieren, es gibt die Häretiker, die dem Glauben abgeschworen haben, es gibt Prüfungen, die bestanden werden müssen, die Zypernkrise zum Beispiel, und es gibt Opfer, die erbracht werden müssen, beispielsweise die "Beteiligung" der Sparer an der Bankenrettung oder was sonst noch so alles an Enteignungsmaßnahmen auf uns zukommt, wenn die Kredite "fällig" gestellt werden. Eine maßvolle Inflation, vor allem bei den Gütern außerhalb des offiziellen Warenkorbs, wäre da wohl das sozial Verträglichste."
Henryk Broder, Die letzten Tage Europas. Wie wir eine gute Idee versenken (Albrecht Knaus Verlag, 2013), S. 188.

Samstag, 12. April 2014

Max Webers Feststellungen zum Aufstieg der Bürokratie aus dem Jahr 1917...

"Der Bürokratisierung gehört die Zukunft .. Die Bürokratie ist gegenüber anderen geschlichen Trägern der modernen rationalen Lebensordnung ausgezeichnet durch ihre weit größere Unentrinnbarkeit. Es ist kein geschichtliches Beispiel dafür bekannt, dass sie da, wo sie einmal zur völligen Alleinherrschaft gelangt war – in China, Ägypten, in nicht so konsequenter Form im spätrömischen Reich und in Byzanz –, wieder verschwunden wäre, außer mit dem vällkigen Untergang der ganzen Kultur, die sie trug. Und doch waren dies noch relativ höchst irrationale Formen der Bürokratie: >> Patrimonialbürokratien<<. Die moderne Bürokratie zeichnet sich vor allen diesen älteren Beispielen durch eine Eigenschaft aus, welche ihre Unentrinnbarkeit ganz wesentlich endgültiger verankert als die jener anderen: die raitonale fachliche Spezialisierung und Einschulung. [...] Wo aber der moderne eingeschulte Fachbeamte einmal herrscht, ist seine Gewalt schlechthin unzerbrechlich, weil die ganze Organisation der elementarsten Lebensversorgung alsdann auf seine Leistung zugeschnitten ist. [...] Angesichts der Grundtatsache des unaufhaltsamen Vormarsches der Bürokratisierung kann die Frage nach den künftigen politischen Organisationsformen überhaupt nur so gestellt werden: 
1. Wie ist es angesichts dieser Übermacht der Tendenz zur Bürokratisierung üerhaupt noch möglich, irgendwelche Recste einer in irgendeinem Sinn "individualistischen Bewegungsfreiheit zu retten? Denn schließlich ist es eine gröbliche Selbsttäuschung zu glauben, ohne diese Errungenschaften aus der Zeit der "Menschenrechte" vermöchten wir heute – auch der Konservatiste unter uns – überhaupt leben.
2. Wier kann, angesichts der steigenden Unentbehrlichkeit und der dadurch bedingten steigenden Machtstellung des uns hier interessiernden staatlichen Beamtentums, irgendwelche Gewähr dafür geboten werden, dass Mächte vorhanden sind, welche die ungeheure Übermacht dieser an Bedeutung stets wachsenden Schicht in Schranken halten und sie wirksam kontrollieren? Wie wird Demokratie auch in diesem beschränkten Sinn überhaupt möglich sein?" 

Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft (Zweitausendeins, 1917/2008), S. 1059-1061.