Montag, 25. April 2016

Wilhelm Röpke, "Die proletarisierte Gesellschaft" (1950)

"Wenn wir dem Proletarier keinen echten Wandel seiner Arbeits- und Existenzform anbieten und ihn nicht aus seiner Proletarität wirklich befreien, so ist es nur natürlich, dass er mit äußerster Schärfe die Unsicherheit seiner wurzel- und reservenlosen Existenz empfindet und immer dringender einen Ausgleich in derjenigen Form fordert, die ihm unter diesen Umständen allein noch sicthtbar zu sein pflegt: in der Form der mechanisierten Massenfürsorge, der Einkommensnivellierung durch Besteuerung, der höchstmöglichen Löhne und kürzestmöglichen Arbeitszeit, der längstmöglichen Ferien udn der rücksichtslosen Ausnutzung der Macht der nackten Zahl.

Was dann vorgeht, hat schon Aristoteles in seiner ,Politik' mit aller Klarheit erkannt. Er sagt, dass, sobald die Mittelklasse in einer Demokratie zu schmal wird, die Ärmsten als die nunmehr Zahlreichsten ihre Macht zu missbrauchen drohen. In die Sprache unserer Zeit übersetzt besagt dieses ,Gesetz des Aristoteles': wachsende Proletarisierung bedeutet abnehmenden Widerstand gegen eine Politik der Einkommensnivellierung und der weiteren Vernichtung des Mittelstandes. Genauer ausgedrückt: hat die Proletarisierung einen bestimmten Grad überschritten, so führen die Ansprüche, die das Proletariat an die übrige Gesellschaft stellen wird, leicht zu einem solchen Druck auf die Staatskasse und auf das Geld- und Kreditsystem, dass konstanter Inflationsdruck und Überbesteuerung immer weniger vermeidbar werden. Im modernen proletarischen ,Wohlfahrtsstaat' mit seinen fast uferlosen Programmen der ,sozialen Sicherheit' und der ,Vollbeschäftigung' wird immer stärker eine fortgesertzte Tendenz zur Inflation (mitsamt der ständigen Minderung der Kaufkraft des Geldes) und zu einer Finanzpolitik hervortreten, die davon abschreckt, Eigentum zu besitzen, die Früchte des Eigentums zu genießen und überhaupt ein Einkommen zu erwerben, dass die Bildung von Eigentum erlaubt. Während diese Tendenz das individuelle Sparen entmutigt, lässt die Maschine der staatlich organisierten Gesellschaft immer mehr Menschen der mehr oder weniger ausreichenden ,Stallfütterung' durch den Staat anheimfallen, zu Hintersassen der Regierung werden. Panem et circenses: schon einmal hat die Weltgeschichte einen ähnlichen Vorgang erlebt."

 Wilhelm Röpke. Die proletarisierte Gesellschaft. "Der Monat", Jahrgang 1950

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