Montag, 1. Juni 2015

Carl Schmitt zur Kluft zwischen Norm und Umsetzung

Kein Gesetz kann sich selbst vollstrecken, es sind immer nur Menschen, die zu Hütern der Gesetze aufgestellt werden können, und wer selbst den Hütern nicht traut, dem hilft es nihts, ihnen wieder neue Hüter zu geben. Auch hier lässt sich die unübersteigliche Kluft zwischen der reinen Norm und ihrer Verwirklichung nicht durch noch so viele Zwischenglieder ausfüllen. Der wackere Verteidiger der richterlichen Unabhängigkeit, Heinrich Simon, meinte (1845) durchaus zutreffend: >>Die gesetze sprechen nur aus, was geschehen oder nicht geschehen soll, sie geben keine Bürschaft dafür, daß das Gebotene wirklich geschieht, und das Verbotene wirklich unterlassen wird.<< Es gibt einen Punkt, an dem das Richtige sich nicht mehr erzwingen läßt. Das Mißtrauen gegenüber der Kraft des Guten und Richtigen, die freilich von der Einsicht der einzelnen Menschen nciht abhängig gemacht werden darf, da sie dann verloren wäre, dies Mißtrauen reibt sich eben selbst auf und geht, wie alle Negation, der keine Position vorhergegangen ist, ins Bodenlose. Darüber hinaus hört freilich jedes Argument auf, und weder das Vertrauen auf die Macht des Guten und gerechten, noch die politische Frage nach der Technik der konkreten Durchsetzung gehören in die Rechtsphilosophie.

Carl Schmitt, Der Wert des Staates und die Bedeutung des Einzelnen (Duncker & Humblot 1914/2004) , 83f.